Apprendi V (2003) Bestenlisten schützen gegen
Betrug. die-Besten-nennen 12: www.die-besten-nennen.de
© Vless Ebersberg, 2003
Größter wissenschaftlicher Fälschungsskandal der Nachkriegszeit - Resumé von Fachleuten für „Fehlverhalten“ in den Wissenschaften: Wer sich durch Ehrlichkeit auszeichnet, wird kaum für erfolgreiche Karriere ausgewählt - Es gibt viele Anknüpfungspunkte für Unkorrektheiten: Ideendiebstahl, Datenfälschungen, Fehler in der Datenauswertung und Ergebnisinterpretation, Täuschungen in den Prioritäts- und Urheberschaftsansprüchen bei Veröffentlichungen, unrealistische Darstellungen, Unrichtigkeiten bei Bewerbungen - Fachleute schlussfolgern: Die Hälfte aller wissenschaftlichen Publikationen ist unbrauchbar und unzuverlässig - Zur Abwendung der damit verbundenen Schäden sind weithin herrschende Unsicherheiten über das „richtige“ Verhalten in den Wissenschaften zu beseitigen, verlässliche und qualitativ geeignete Forschung und Forscher erkennbar zu machen und die Gefahr zur Entlarvung von Fehlverhalten zu erhöhen - Als Hilfen zur Eindämmung einer verbreiteten Quelle von Fehlverhalten werden Leitlinien für Namenszuordnungen zu Publikationen wiedergegeben - Die GaM-Bestenlisten sollen die Wahrscheinlichkeit erheblich erhöhen, verlässliche Forscher mit qualitativ hochwertigen Arbeiten zu identifizieren, um ihre Wirkung in der Gestaltung der Wissenschaften zu erhöhen.
Im Jahr 1997 wurden die Öffentlichkeit und viele Wissenschaftler durch die
Aufdeckung eines Forschungsbetrugs aufgeschreckt, der in Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg an Umfang einmalig dastand.
Dem 47-jährigen Friedhelm Herrmann, der bereits rund 400 wissenschaftliche
Publikationen aufweisen konnte, waren umfangreiche Fälschungen
wissenschaftlicher Daten auf dem Gebiet der Molekularbiologie nachgewiesen
worden, in die mehrere Mitarbeiter einbezogen waren. Die Untersuchungen dieses
„Fälschungsskandals“ deckten weiteres Fehlverhalten in seinem Umkreis auf:
Renommierte Forscher hatten ihre Namen mit auf einige der Arbeiten mit
unkorrekten Daten gesetzt, wohl, um ihren wissenschaftlichen Einfluss und Ruhm
zu erhöhen. Außerdem wurden von dieser in den Skandal verwickelten Gruppe bei
der Deutschen Forschungsgemeinschaft Anträge um Forschungsförderung abgelehnt
und die dafür vorgesehenen Gelder in die im Wesentlichen davon kopierten eigenen
Anträge umgeleitet. (U.a. in: SZ vom 22.5.1997, Urban, M.: Ressort Wissenschaft:
Gefälscht auf Weisung des Chefs? Streit um Forschungsergebnisse von
Molekularbiologen.)
Manchen wird dies nicht beunruhigen. Denn unter den vielen Wissenschaftlern
gibt es selbstverständlich auch schwarze Schafe: Sie betätigen sich als
Datenfälscher, Fälscher von Publikationslisten, durch Anmaßung von
Autorenschaften bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen, zu denen sie nichts
Wissenschaftliches beigetragen haben, als Hochstapler usw.
„Doch schwarze Schafe sind Einzelfälle. Sie gibt es überall“. Damit könnte man
den Sachverhalt abtun, so wie Immobilienmakler, Handwerker, Geschäftsleute und
selbst Pfarrer aufgedeckte Betrügereien ihrer Kollegen relativieren.
In den Wissenschaften liegt aber eine besondere Situation vor: Die
wissenschaftliche Motivation der Wahrheitssuche und Wahrhaftigkeit, die ihren
Ausdruck vor allem in Publikationen findet, ist eng mit der Karriere verbunden.
Allerdings werden, wie Blum und Mitarbeiter (1997, S. 43) schreiben,
offensichtlich meist nicht die für eine erfolgreiche Karriere ausgewählt, die
sich durch größte Wahrhaftigkeit auszeichnen. „In der Regel wird die
Wahrhaftigkeit zugunsten einer Karriere geopfert.“
Blum et al. (1997) zeigen, dass es im Prozess von der Forschungsarbeit bis zu deren Publikation, welche die Forschung normalerweise abschließt, viele Anknüpfungspunkte für Unkorrektheiten gibt. Die folgenden Aussagen, die hier im Telegrammstil angeführt sind, stützen sich auf diese Autoren, in deren Buchbeitrag auch Hinweise auf die Primärquellen zu finden sind.
Sehr viele Unkorrektheiten haben mit dem Anspruch auf die Urheberschaft zu
tun, die durch die Namenszuordnung auf eine Publikation erfolgt.
Beachtliche Unkorrektheiten sind schließlich sogar bei Bewerbungen
wiederzufinden. Manche Kandidaten verstehen es, im Hintergrund ihre Fäden zu
ziehen, um die Entscheidungen nicht zu abhängig von der tatsächlich angebotenen
Leistung zu machen. Bei mündlichen Vorstellungen dürften die Hochstapler unter
den Wissenschaftlern in ihrem Element sein. Was hier alles über die Darstellung
der faktischen forscherischen Leistung hinausgeht, lässt sich kaum anhand harter
Daten untersuchen. Eine Ahnung von derartigen Geschehnissen außerhalb der
Öffentlichkeit geben jedoch schon die Bewerbungsunterlagen, bei denen man wegen
der Überprüfbarkeit der Angaben kaum Fehler erwartet.
Selbstverständlich löst sich das Vertrauen in die Wissenschaftler und die
Wissenschaften auf, wenn dort die besonders reüssieren, die sich nicht an die
Regeln der Fairness halten. Die Wissenschaften selbst werden zunehmend
ineffizient, wenn die „wahren“ Wissenschaftler, das sind die mit echten
wissenschaftlichen Beiträgen, an Einfluss verlieren und wenn die erfolglosen
Forscher an Einfluss gewinnen und zudem anderen als Vorbild zum Nachahmen
dienen.
Was lässt sich dagegen tun? Im Wesentlichen bieten sich drei Möglichkeiten an:
Darauf wird nun näher eingegangen.
Fließende Übergänge zum „Fehlverhalten“ verringern
Der Übergang zum Betrug ist oft fließend. Denn oft sind keine allgemein
anerkannten Regeln darüber verbreitet, wie Daten zu behandeln sind, wer als
Urheber eines wissenschaftlichen Gedankens gilt, wie man dies genau
kennzeichnet, welche Autorenposition jemand zusteht und wie man mit Schenkern
von Autorenschaften umgeht. Soll man sie als großzügige Gönner verehren oder als
Betrüger in die Schranken verweisen usw.?
Wie er sich bei derartigen Fällen zu verhalten hat, lernt der
Nachwuchswissenschaftler durch die Kooperationen beim Forschen und Publizieren.
Vieles wird nicht näher diskutiert, sondern nur gemacht. Jedenfalls wird kaum
jemand explizit und systematisch in seinem Forschungsumfeld in Fragen der
Wissenschafts- und Publikationsethik eingeführt. Deshalb ist ein Forscher fast
immer mehr oder weniger auf sein undifferenziertes Fairness-Empfinden
angewiesen.
Aus diesem Gefühl heraus bewertet er auch, ob er selbst unfair behandelt wird.
Mangels expliziter Argumente sieht er sich oft jedoch nicht in der Lage oder
berechtigt, sich gegen vermeintliche Übervorteilungen wirksam zu wehren. Gerade
bei den hochbegabten, nicht selten ebenso hochempfindlichen Wissenschaftlern ist
zu befürchten, dass sie durch derartige Erlebnisse passiv werden, resignieren
oder die Wissenschaften verlassen (Vijh, 1987).
Aufgeschreckt durch den eingangs geschilderten wissenschaftlichen Skandal der
Datenfälschung um den Forscher Herrmann haben sich Ende der 90-er Jahre mehrere
forschende Einrichtungen bemüht, „Grundsätze und Verfahrensregeln für den Umgang
mit wissenschaftlichem Fehlverhalten“ zu formulieren und zu verbreiten. Einen
Ausschnitt aus einer einschlägigen Internet-Darstellung der Universität Marburg
enthält der folgende Rahmen. Auf 4,5 Seiten scheinen engzeilig die wesentlichen
Aspekte an Fehlverhalten von Wissenschaftlern sowie Verfahrensregeln beim
Aufdecken von Vergehen untergebracht zu sein. Wichtig für die Praxis ist, dies
auch in die tägliche Durchführung von Forschung und ihrer Publikation zu
übernehmen.
Auszug aus der Veröffentlichung der Universität Marburg vom 26. Juni 2000
(Präsident: Prof. Dr. Dr. h.c. Schaal) unter gleichem Titel. (www.uni-marburg.de/zv/forschung/fehlverhalten.html)
„Allgemeine Grundsätze
Wissenschaft als systematischer und methodischer Prozeß des Erforschens und
Erklärens von Natur und Kultur setzt wegen der möglichen Konsequenzen für den
Menschen und seine natürlichen, technischen und sozialen Lebensgrundlagen
Verantwortung und Verläßlichkeit aller an der Forschung Beteiligten voraus.
Eine gute wissenschaftliche Praxis schließt ein:
die nachvollziehbare Beschreibung der angewandten Methode (z.B.
Versuchsaufbau, Beobachtungstechnik);
die vollständige Dokumentation aller im Forschungsprozeß erhobenen und für die
Veröffentlichung relevanten Daten;
eine nachprüfbare Darstellung der Forschungsergebnisse;
Ausweis aller einschlägigen verwendeten Informationsquellen;
die angemessene Nennung aller am Forschungsprozeß beteiligten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter.“
Weiter unten wird auch wissenschaftliches Fehlverhalten näher bestimmt:
Zwar bekommen viele in ihrer Entwicklung zu Erwachsenen auch ohne explizite
Einführung mit, dass man Daten nicht fälschen soll. Hingegen durchschauen sie
angesichts der Unvertrautheit mit Statistik meist nicht die Folgen von
Datenselektionen und von Versuchen mit Datenverarbeitungen durch verschiedene
Statistikmodelle. Dies erfordert nicht selten die Zusammenarbeit mit
Methodikern. Diese übernehmen dann die Hauptverantwortung für die Einhaltung
entsprechender wissenschaftlicher Regeln.
Leitlinien für Namenszuordnungen zu Publikationen
Insbesondere bei Kooperationen treten viele Schwierigkeiten mit den
Namenszuordnungen zu Publikationen auf. Dass so viele Probleme damit auftreten,
belegt, wie wichtig Regelungen auf diesem Gebiet sind. Deswegen wird nachfolgend
unter Anknüpfung an den Vancouver-Regeln (Dalal N, 1997; Lehrl, 1995)
ausführlicher darauf eingegangen.
Voraussetzung für die Aufnahme von Wissenschaftlern in Autorenlisten sollte
sein, dass sie zu einer konkreten Arbeit etwas Wesentliches beigetragen haben.
Pollock et al., die sich an Hugh (1982) anlehnen, veröffentlichten 1991 in dem
Werk "Strategies for Surgical Investigators" eine Leitlinie für die
Autorenschaft bei medizinischen Arbeiten, die hier auf Deutsch wiedergegeben
wird (Tab. 1).
Tabelle 1: Leitlinien für Autorenschaft bei medizinischen Arbeiten, in Anlehnung an Pollock et al. (1991) sowie das International Committee of Medical Journal Editors (Dalal N, 1997; s.a. Lehrl, 1995)
1. Prinzip |
Jeder Autor sollte hinreichend an der Tätigkeit, aus der die Arbeit hervorgeht, beteiligt gewesen sein, um auch öffentlich für den Inhalt verantwortlich zu sein. |
2. Prinzip |
Die Teilnahme muss drei Schritte enthalten: a) Konzeption oder Planung der Tätigkeit, die durch den Artikel wiedergegeben wird, oder Analyse und Interpretation der Daten, oder beides. b) Entwurf des Artikels oder Überarbeitung wichtiger kritischer Inhalte. c) Schlusskorrektur der zu publizierenden Version. |
3. Prinzip |
Keine Autorenschaft rechtfertigt · die Teilnahme an der Datenerhebung allein, · die Beschaffung von Forschungsgeldern oder · die allgemeine Supervision von Forschungsgruppen. |
4. Prinzip |
Jeder Inhaltsaspekt eines Artikels, der bedeutsam für die Hauptschlussfolgerungen ist, und jeder Schritt in der Tätigkeit, die zur Veröffentlichung führte (Schritte a, b und c im 2. Prinzip), müssen wenigstens einem Autor zugeschrieben werden. |
5. Prinzip |
Personen, die geistig zu dem Artikel beitrugen, aber deren Beiträge keine Autorenschaft rechtfertigen, sollten genannt werden. Außerdem sollten deren Beiträge beschrieben werden, z.B. "Ratschlag", "kritische Durchsicht des Studienplanes", "Datensammlung", "Teilnahme am klinischen Versuch". Diese Personen müssen ihre Erlaubnis gegeben haben, dass man sie nennt. Technische Hilfe ist in einem getrennten Abschnitt zu würdigen. |
Bei Mehrfachautorenschaften ist jeder Urheber für die Einhaltung dieser Regeln mitverantwortlich. Dies gilt insbesondere für Prinzip 3: Geldbeschaffung und allgemeine Supervision von Forschungsgruppen reichen nicht für eine Autorenschaft aus. Gerade gegen diese beiden Punkte vergeht sich mancher Chef, der verlangt, dass sein Name in eine Arbeit aufgenommen wird.
Zur Autorenreihenfolge schlägt Winston (1985) eine Checkliste vor, die in Tabelle 2 (aus dem Englischen übersetzt) wiedergegeben wird.
Tabelle 2: Checkliste zur Festlegung der Autorenreihenfolge bei Mehrautorenschaften empirischer Arbeiten (nach Winston, 1985)
Tätigkeit |
Punkte |
Begründung der Punktezuordnung* |
Konzipierung und Verbesserung der Forschungsideen |
50 |
Q |
Literatursuche |
20 |
T |
Entwurf des Forschungsplanes |
30 |
T |
Auswahl der Messverfahren/-variablen |
10 |
Q |
Entwicklung der Messverfahren/Fragebogenentwurf |
40 |
Q/T |
Auswahl der statistischen Tests/Analysen |
10 |
Q |
Sammlung und Zubereitung der Daten |
40 |
T |
Durchführung der statistischen Analysen und Berechnungen (einschließlich Computertätigkeit) |
10 |
T |
Interpretation der statistischen Analysen |
10 |
Q |
Zubereitung des Manuskriptes |
|
|
· Erstenwurf |
50 |
T |
· Zweitentwurf |
30 |
T |
· Neuentwurf einer Seite (bei späteren Entwürfen) |
2 |
T |
Herausgabe des Manuskripts |
10 |
T |
*
Q = Punkte für qualitative Kriterien
T = Punkte für Zeitverbrauch
Q/T = Kombination von Q und T
Bei Multicenterstudien, deren
Wert z.B. für klinische Prüfungen nicht zu unterschätzen ist, gibt es Vorschläge
zu fordern, dass als wichtiger Beitrag zur Studie und damit zur Berichtigung der
Nennung als Autor anerkannt wird, wer einen bestimmten Anteil an Patienten dazu
beiträgt, beispielsweise über 10 % (Carbone, 1992). Andererseits werfen
derartige Begründungen von Autorenschaften, die nach Tab. 2 mit bis zu 40
Punkten bewertet würden, nach dem Prinzip 3a in Tabelle 1 die Frage auf, ob das
„bloße“ Datensammeln nach Vorschriften wirklich zur Autorenschaft berechtigt.
Für Danksagungen sind nach Prinzip 5 die Fußnoten vorgesehen.
Nach Anlegen von Kriterien wie in Tabelle 2 werden Autorenzahlen ab sechs
selten. Demnach erübrigte sich wegen Seltenheit des Vorkommens der Vorschlag der
sogenannten Vancouver Convention, Referenzen bei Autorenanzahlen, die über sechs
hinausgehen, mit „et al.“ abzuschließen (Epstein, 1993). Auch empirisch wird
bestätigt, dass große Autorenzahlen kaum gerechtfertigt sind.
Letztlich sollte man als Wissenschaftler nicht nur auf sich, sondern auch die
anderen achten, Gebote der Fairness einzuhalten. Vom Komitee, das die
Vancouver-Regeln konzipierte, wurden zudem die Herausgeber von
Publikationsorganen gebeten, darauf zu achten, dass die Autorenschaft der auf
den Arbeiten genannten Personen gerechtfertigt ist.
Hinweise auf produktive karriereaktive, aber qualitativ mittelmäßige Forscher
Bei wenig produktiven, das heißt im Wesentlichen „wenig publizierenden“
Forschern ist der durch unkorrektes wissenschaftliches Verhalten gesetzte
Schaden dann nicht allzu groß, wenn sie in der Wissenschaftlerkarriere keine
hohe Position errungen haben. Wer sich nicht halbwegs an die Vorgabe „publish or
perish“ hält, kommt auch kaum für gehobene Wissenschaftlerpositionen in
Betracht.
Es ist davon auszugehen, dass mit der Produktivität und mit der Höhe der
Position als Wissenschaftler die durch Fehlverhalten verursachten Schäden
steigen. Dieser bestünde darin, wissenschaftlich nutzlose Publikationen zu
liefern, Veröffentlichungen vorzutäuschen oder nützliche Publikationen anderer
zu verhindern. Die Vorbedingung für einen wirksamen Schutz dagegen bildet, das
Fehlverhalten durch leicht zugängliche Hinweise durchschaubar zu machen.
Da Produktivität und Karriere relativ eng miteinander gekoppelt sind, kann es
bei den Publikationen, die im Zusammenhang mit Fehlverhalten vorgewiesen werden,
nur um qualitativ mittelmäßige, gar minderwertige oder vorgetäuschte gehen,
wobei letztere gar nicht existieren oder ein übertriebener Eigenbeitrag daran
vorgetäuscht wird (Seniorenposition einnehmen, wenn nur Gelder beschafft wurden;
Arbeiten durch Ghost Writer anfertigen lassen; plagiieren usw.)
Um den Mangel an eigenen bzw. qualitativ hochstehenden Arbeiten zu kompensieren,
sind diese Personen zum Aufbau und Erhalt einer Reputation als „guter“ oder gar
„außergewöhnlicher Forscher“ auf Hochstapelei angewiesen. Naheliegende Versuche,
den Mangel an vorweisbaren Leistungen durch Ersatzleistungen und -tätigkeiten
auszugleichen, können darin bestehen, andere durch Merkmale zu beeindrucken, die
man bei hochklassigen Forschern erwartet, die aber unmittelbar eigentlich nichts
mit der Forschungsqualität zu tun haben. Dazu gehören
häufige oder betonte Verweise
auf
• wissenschaftliche Verbindungen zu anerkannten Forschern oder darauf, bei
welch wichtigen Personen man Student oder Assistent war (statt selbst wichtig
zu sein)
• gute politische Verbindungen
• Internationalität: Orientierung an internationalen Standards, regelmäßige
Besuche internationaler Tagungen; Pflege internationaler Kontakte
• hervorragende Englischkenntnisse
• Ehrungen, bei denen kein Zusammenhang mit hohen Forschungsleistungen besteht
oder ein derartiger Zusammenhang nicht geklärt ist
mehrere bis viele Studien- und Dienstaufenthalte an renommierten Hochschulen (häufige Wechsel können auch eine große Unruhe, unzureichende Leistungsfähigkeit anzeigen; jedenfalls gefährden Wechsel in andere Einrichtungen, die nicht mit einer Herkunftsinstitution vernetzt sind, die Kontinuität der wissenschaftlichen Entwicklung und somit auch den Aufbau von geistigem Tiefgang)
Einfallslosigkeit und geringes
Durchhaltevermögen verhindern die Produktion qualitativ hochstehender Forschung
und Publikationen. Demnach müssen sich produktive Karrieretaktiker mit einer
größeren Anzahl minderwertiger wissenschaftlicher Arbeiten zufrieden geben, es
sei denn, es gelingt ihnen, Kooperationen mit herausragenden Wissenschaftlern zu
nutzen und ihren eigenen Beitrag zur gemeinsamen Arbeit nach außen durch
Einnahme ungebührlicher Positionen aufzuwerten.
Die mittelmäßigen, gar minderwertigen Arbeiten können Qualität vortäuschen,
indem sie
viele unübersetzte Ausdrücke enthalten, die Arbeiten entstammen, die „im Gespräch sind“
die Absicherung eigener Argumente auf Verweise auf „internationale“ Autoritäten und Gepflogenheiten stützen (statt sie selbst aus Hintergrunderkenntnissen und -methoden abzuleiten)
viel Aktuelles zitieren (aber nicht an die geschichtlichen Wurzeln gehen)
Um eine Aufwertung ihrer Leistung bemühen sich auch viele, indem sie in Zeitschriften mit möglichst hohem Ansehen veröffentlichen, die meist einen hohen Impact-Faktor haben. Tatsächlich finden selbst in die „besten“ Zeitschriften relativ unbedeutende Artikel Eingang. Die Chancen ergeben sich nicht nur durch das Unterlaufen der Gutachtersysteme durch Beziehungen, sondern auch bei
Arbeiten, die zu einem aktuellen Thema Informationen liefern
kurzen Beiträgen
Dokumententypen außerhalb der Originalbeiträge und Reviews (Leserbriefe, Kurzmitteilungen)
Da beruflich viel davon
abhängt, versuchen manche Wissenschaftler zumindest hohe Leistungen
vorzutäuschen. Dies ist angesichts der Unerfahrenheit vieler Entscheidungsträger
bei Karriereförderungen, auch von Fachkollegen, die ihre Meriten in einem
spezifischen Fach verdient haben, aber nun allgemeine Entscheidungen treffen
sollen, oft ein leichtes Spiel.
Noch am besten durchschauen die Fachkollegen, die sich gerade mit dem gleichen
Thema befassen, welchen Wert eine Arbeit besitzt: Wie relevant, originell und
vertrauenswürdig sie ist und ob ihre Darstellung exakt und widerspruchsfrei
erfolgte.
Auf das tatsächliche Verhalten der Fachkollegen bauen wiederum Zitationsanalysen
und auch die GaM-Bestenlisten auf.
GaM-Bestenlisten wie Röntgenbilder einsetzen - hinter die Fassade blicken
Die GaM-Bestenlisten enthalten die Ergebnisse von Zitationsanalysen. Ohne
Ansehen der Person und des akademischen Titels werden die berücksichtigt, die so
häufig zitiert werden wie die meistzitierten zehn Prozent der habilitierten/professorierten
Gelehrten der gleichen Fachdisziplin in Deutschland.
Die
GaM-Bestenlisten
Sie beziehen sich auf die im Internet unter www.die-besten-nennen.de
zugänglichen Listen der führenden Forscher. Das Wort „GaM“ wurde
vorangestellt, um sie von anderen Bestenlisten wie solchen sportlicher
Leistungen oder FOCUS-Ärztelisten zu unterscheiden.
GaM bedeutet „Gesellschaft für angewandte Metaforschung mbH“. Diese
Gesellschaft bereitet die Listen zu.
In Bezug auf die
Täuschungsmöglichkeiten sind demnach sowohl die Validität der Identifizierung
von Forschungsqualität durch Zitationsanalysen als auch die Motive und
Spielräume für Fehlverhalten bei den „Besten“ zu berücksichtigen.
Für die hier interessierenden Einschätzungen ist vielleicht weniger wichtig,
dass Zitationsmengen der sensitivste wissenschaftliche Indikator der
Forschungsqualität sind (Stephan, 1996), als dass die Messwerte ohne Zutun und
Modifikationsmöglichkeit der Betroffenen weltweit und objektiv erhebbar sind
(Kornhuber, 1988). Sie lassen sich in Büchern und an PCs in Tokyo, Toronto, New
York, Rio de Janeiro, Hamburg usw. ermitteln.
Die Zitationen sind den – je nach wissenschaftlichem Gebiet – ca. 5.000 bis 7.000 Zeitschriften entnommen, die das Institute for Scientific Information in Philadelphia regelmäßig erfasst.
Man findet die Zitationen in
den Literaturverzeichnissen der Aufsätze von meist gehobener bis höchster
Qualität, in denen sich Fachkollegen der Scientific Community, die gerade über
ein verwandtes Thema forschen, irgendwie zu der Publikation des Zitierten
bekennen. Dies trifft sogar dann zu, wenn sie ihre eigenen Gedanken und
Argumente daran profilieren. Sie, die sie gerade selbst an diesem Thema
arbeiten, können noch am besten den Wert der zitierten Arbeit abschätzen. Mit
mittelmäßigen und minderwertigen Publikationen geben sich die meisten nicht ab.
Deshalb sind die Objektivierungen der Forschungsqualität durch Zitationen wie
Röntgenbilder. Sie geben den Blick hinter die Fassade frei.
Wer trotz hoher Produktivität immer wieder mittelmäßige Qualität vorlegt, wird
nach diesem Mess-System mit Zitationen erfolglos bleiben. Die mittelmäßige
Qualität schließt nicht nur eine relativ geringe Originalität, sondern auch
unexakte Ausführung, Neigung zu Undurchdachtheiten und Widersprüchen bis hin zu
- für Fachkollegen unglaubwürdigen - Datengrundlagen ein.
Dieser Zusammenhang von Korrektheit und durch Zitationen erfasster Forschungsqualität verträgt sich mit der bereits erörterten, von Blum und Mitarbeitern (1997) zitierten Beobachtung, wonach Publikationslisten, die als Grundlage für Bewerbungen dienen, in 25 bis 40 % der Fälle unrichtig sind, insbesondere: Je schlechter die Gesamtbewertung eines Kandidaten, desto mehr Unkorrektheiten enthalten die Bewerbungsunterlagen. Die Unkorrektheiten umfassen nicht nur Mängel infolge ungenügender Leistungsfähigkeit, sondern auch absichtliche Falschangaben.
Die GaM-Bestenlisten schließen
also unproduktive Wissenschaftler und unter den Produktiven die aus, die keine
hohe Forschungsqualität erbringen bzw. die keine nennenswerten Beiträge zum
globalen Fortschritt der Wissenschaften leisten. Viele davon haben sich dennoch
hohe akademische Titel und Dienstposten erworben.
Ein Drittel der deutschen Medizinforscher mit Habilitation oder Professur wird
pro Jahr nicht einmal international zitiert (Lehrl, 1995), obwohl doch gerade
von dieser Gruppe an erster Stelle erwartet wird, dass sie die Forschung
weiterbringt (Plomp, 1994). Weitere 20 Prozent erhalten für ihre Arbeiten
jährlich nur ein oder zwei Zitationen. Dennoch haben viele von ihnen Stellen wie
die führenden 10 Prozent inne, auf denen der Haupterfolg der deutschen
Medizinforschung beruht.
Dies bestätigt die Vermutung von Blum und Mitarbeitern (1997, S. 43), wonach
offensichtlich meist nicht die für eine erfolgreiche Karriere ausgewählt werden,
die sich durch größte Wahrhaftigkeit auszeichnen. Denn die Erfüllung ihrer
Hauptaufgabe, die Forschung weiterzubringen, gelingt ihnen offenbar nicht. – Auf
einige Möglichkeiten, dieses Defizit zu kompensieren, war oben schon eingegangen
worden. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Mehrheit der
Entscheidungsträger für Forschungskarrieren offenbar nicht besser ist und
aufgrund einschlägiger Selbsterfahrungen für die Defizienten wahrscheinlich mehr
Verständnis als für die wissenschaftlich Hervorragenden hat.
Die GaM-Bestenlisten bieten einen Schutz gegen die Mehrheit der Wissenschaftler,
die keine oder nur geringe Beiträge zum internationalen Forschungsfortschritt
leisten. weil sie eine hohe Qualitätsschwelle fordern, die nur die führenden
zehn Prozent der habilitierten/professorierten Gelehrten einer Fachdisziplin
erreicht haben. Diese Schwelle ist relativ hoch angesetzt und schließt leider
rund zwanzig Prozent an Wissenschaftlern aus, die durchaus beachtliche
Forschungen vorgelegen und vorgelegt haben. Da die Übergänge fließend sind, da
also kein sprunghafter Anstieg an Zitationen die Forscher natürlicherweise in
zwei Gruppen aufteilt, musste das Kriterium willkürlich gesetzt werden.
Nach Ausschluss der weniger geeigneten Wissenschaftler stellt sich die Frage,
wie der Einschluss der hoch Qualifizierten gesichert werden kann. Wie schützen
die Listen gegen Wissenschaftler, welche die Kriterien der „Besten“ nur
erfüllen, weil sie die Mühsal solider Forschung und uninteressante Ergebnisse
durch Plagiate, Fälschungen von Daten und deren Auswertungen oder durch
geschenkte oder gekaufte Autorenschaften überwinden?
Für bestimmte Formen des Fehlverhaltens verringern sich mit zunehmendem
Forschungsniveau die Chancen. So wird man kaum jemand finden, der als
Ghost-Writer hervorragende Publikationen anfertigen kann. Die
Spitzenwissenschaftler sind hier auf sich selbst angewiesen. Es gibt auch
Hinweise aus der Hochbegabtenforschung darauf, dass sie an der Wahrheitsfindung
direkt interessiert sind (z.B. Vijh, 1987). Ihnen liegt es daher fern, die
Wissenschaften für die Karriere instrumentalisieren wollen.
Bei den GaM-Bestenlisten wird jedoch weniger auf derartige Zusammenhänge als auf
zwei andere Kontrollen vertraut:
Die als „Beste“ Ermittelten bestätigen unterschriftlich, dass es sich um sie und nicht namensgleiche Wissenschaftler handelt.
Die Nennung in der Öffentlichkeit lenkt auch die Aufmerksamkeit der Fachkollegen auf die Ausgelesenen.
Wer etwas zu verbergen hat, wird es vermeiden, freiwillig die Aufmerksamkeit der Fachkollegen auf sich zu ziehen.
So bestätigte
Friedhelm Herrmann, dem wie schon erwähnt der größte Nachkriegsfall des
Forschungsbetrugs in Deutschland zugeschrieben wird, seine großen Erfolge in der
internationalen Gemeinschaft der Wissenschaftler (Scientific Community) nicht
durch eine Unterschrift. Deshalb erfolgte im „Who´s Who der deutschen
Medizinforschung“ nur eine redaktionelle Eintragung.
Nach der Veröffentlichung des „Who´s Who der deutschen Medizinforschung“
schrieben die Leiter von zwei deutschen Hochschulen über je einen bestimmten
Forscher, er gehöre nicht in das Werk, weil er sich die Namensgleichheit eines
Forschers auf benachbarten Gebiet zu Nutze gezogen habe
Orientierung an objektiven, validen und weltweit zugänglichen Daten, speziell Zitationen (erwarteter Schutz: Ausschluss relativ invalider Daten wie die Ergebnisse von Gutachterbewertungen).
Da die Namenszuordnung zu den Zitationen wegen der weltweit vielen Wissenschaftler nicht immer eindeutig ist, bestätigen die Kandidaten für die Bestenlisten explizit, dass die Arbeiten von ihnen stammen (erwarteter Schutz: hohe Hemmschwelle, wenn Unterschriften geleistet werden).
Die Bestenlisten sind öffentlich zugänglich, selbstverständlich auch den Fachkollegen (erwarteter Schutz: Betrüger und Diebe (Plagiate) meiden das Licht der Öffentlichkeit; Fachkollegen kontrollieren mit).
Es werden anspruchsvolle Hochleistungen gefordert (erwarteter Schutz: Derartige Hochleistungen lassen sich kaum noch delegieren, weil kaum noch jemand anderes dazu in der Lage ist. Dies gilt besonders für Allein- und Erstautorenschaften).
Zum Schutz einer lauteren und
effizienten Forschung sollten alle an der Forschung Beteiligten auf die
Einhaltung von Regeln für wissenschaftliches Verhalten bei sich und anderen
achten und sich nicht darauf verlassen, dass sich alles schon irgendwie von
selbst zur Zufriedenheit aller regelt.
Die GaM-Bestenlisten werden mit dazu beitragen, die gegenwärtig bei vielen
Forschern herrschende Kluft zwischen wissenschaftlicher Reputation und
tatsächlichem wissenschaftlichen Erfolg zu schließen.
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