Apprendi V (2003) Warum sind viele
wissenschaftliche Preise und Anerkennungen wissenschaftlich wertlos?
die-Besten-nennen 11: www.die-besten-nennen.de
© Vless Verlag: Ebersberg, 2003
Kurzfassung
Hintergrund „Tausende an geehrten Wissenschaftlern“: Wissenschaftliche
Preise und sonstige Ehrungen dienen der Motivation von Wissenschaftlern und
tragen zur Erhöhung von deren Reputation bei. Weltweit und auch im
deutschsprachigen Bereich werden regelmäßig, teils jährlich mehrere tausend
Wissenschaftler für einzelne ihrer Arbeiten oder ihr Lebenswerk geehrt. Nach
groben Schätzungen leben gegenwärtig allein in Deutschland mehrere zehntausend
wissenschaftlich Geehrte. Viele vereinigen mehrere Anerkennungen durch
wissenschaftliche Preise und Ehrungen auf sich.
Fragestellungen: 1) Fördert die gegenwärtig Anerkennungspraxis durch
Ehrungen den wissenschaftlichen Fortschritt merklich? 2) Gibt es für letzteren
Zweck nicht geeignetere Methoden der Anerkennung durch Ehrungen?
Methoden: In Bezug auf die Fragestellungen soll grob analysiert werden,
wie es zu Entscheidungen für wissenschaftliche Ehrungen von Arbeiten und Autoren
kommt. Außerdem werden die Ergebnisse einer Erhebung über die Häufigkeit der
Ehrungen führender Forscher der deutschen Medizin dargestellt und die Literatur
auf empirische Resultate zur 2. Fragestellung ausgewertet.
Untersuchung der Entscheidungsvorgänge: Die Motive der Ehrenden und die
Anerkennungen sind sehr unterschiedlich. Deshalb kann deren Wert unter dem
Gesichtspunkt der Förderung der Forschung in manchen Aspekten nur mit
Schwierigkeiten pauschal eingeschätzt werden. So verfolgen die Vergeber einer
Anerkennung, die sich vor den Augen der Öffentlichkeit abspielt, oft nicht das
Interesse, den wissenschaftlichen Fortschritt zu fördern, sondern ein Produkt,
eine Idee oder ihr eigenes Image.
Da die institutionellen Strukturen und Prozesse der Entscheidung für
wissenschaftliche Ehrungen meist von einem bestimmten Muster geprägt sind,
lassen sich hierüber allgemeine Aussagen besser als über die Motive
rechtfertigen. Typisch scheint zu sein:
Studien zum Wert der Ehrungen für die Forschung: Ergebnisse einer
Erhebung an 1.200 Gelehrten der deutschen Medizin geben einen pauschalen
Eindruck vom Wert der Ehrungen. Die Gelehrten waren danach ausgewählt worden,
dass sie unter ihren deutschen Fachkollegen am meisten zum internationalen
wissenschaftlichen Fortschritt beitrugen. Von den 801, die antworteten, hatten
22 % keine, 25 % eine und 53 % mehrere wissenschaftlichen Ehrungen erhalten. Da
22 % der erfolgreichsten Forscher keine Anerkennungen erhielten und da außerdem
viele Ehrungen für ihre forscherische Leistung an Wissenschaftler fallen, die
nicht zu den international erfolgreichsten Forschern gehören, kann der
Zusammenhang zwischen Ehrung und wissenschaftlicher Leistung nicht allzu zu eng
sein. Darauf verweist auch der mehrfach bestätigte Befund, wonach Gutachter
zwischen überdurchschnittlichen wissenschaftlichen Leistungen nicht mehr valide
unterscheiden können. Zumindest, so lässt sich festhalten, wird ein erheblicher
Teil an wissenschaftlichen Preisen nicht an Personen vergeben, die viel zum
wissenschaftlichen Fortschritt beitragen.
In der Vergabe wissenschaftlicher Auszeichnungen herrschen zwischen den
medizinischen Fachgebieten große Unterschiede. Während in der Chirurgie viele
Preise vergeben werden, sind es in der Pädiatrie wenige. Demnach gibt es keine
interdisziplinär streng vergleichbare Anerkennungspraxis.
Förderung der zukünftigen Forschung durch Ehrungen: Die Ergebnisse
einschlägiger Studien, die auch hohe Auszeichnungen wie den Nobelpreis
einbezogen, legen den allgemeinen Schluss nahe, dass die wissenschaftlichen
Preise die Verbreitung der anerkannten Leistung in den Wissenschaften nur wenig
fördern.
Bewertung der gegenwärtig vorherrschenden wissenschaftlichen Ehrungspraxis:
Viele wissenschaftliche Preise und sonstige Ehrungen tragen wenig zur Förderung
der Wissenschaften bei, insbesondere fördern sie kaum die, welche die
Wissenschaften am meisten voranbringen. Sie geben den Wissenschaftlern und dem
wissenschaftlichen Nachwuchs nur eine wenig valide Orientierung über qualitativ
hochwertige Forscher und Forschungsarbeiten. Ihre Mängel bestehen darin – was
selbst für den wissenschaftlichen Nobelpreis und einige wenige ähnlich kaum
umstrittene hohe Auszeichnungen für herausragende Forschungsqualität zutrifft -,
auf Gutachterurteilen zu beruhen, nur für ein oder wenige Fachgebiete zu gelten
und bloß einen oder wenige Wissenschaftler unter Gleichwertigen auszuwählen. Die
nicht Auserkorenen haben keinen Anspruch auf die Anerkennung.
GaM-Bestenlisten auf der Schwelle zur Zukunft: Das Who´s Who der
deutschen Medizin hatte bereits die erörterten Mängel behoben. Es ist nicht mit
anderen Who´s Whos zu vergleichen, weil deren Auswahlverfahren öffentlich nicht
nachvollziehbar und somit unwissenschaftlich sind.
Auf dem Vorbild des Who´s Who der deutschen Medizin bauen die GaM-Bestenlisten
auf, die ebenfalls als Vorbild für wissenschaftliche Anerkennungen dienen
sollen: Sie beruhen, wie es sich für den heutigen metawissenschaftlichen Stand
geziemt, auf objektiven Messungen, die unter allen bekannten Indikatoren am
validesten die Ausprägung der Beiträge eines Forschers zu den internationalen
Wissenschaften erfassen. Sie lassen zudem Vergleiche zwischen Fachrichtungen zu
und berücksichtigen grundsätzlich alle Kandidaten, welche die entwickelten
Kriterien erfüllen. Diesen Kandidaten wird sogar ein moralischer und rechtlicher
Anspruch auf die Aufnahme zugestanden.
Da die als „führende Forscher“ erkannten Wissenschaftler identifiziert und in
den öffentlich zugänglichen Bestenlisten genannt werden, ist zu erhoffen, dass
die GaM-Bestenlisten der deutschsprachigen Forschung mehr spürbare Impulse als
viele herkömmliche Preise zusammen verleihen.
Soweit es um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses geht, der nicht
wenigstens fünf bis sieben Jahre Gelegenheit zum Forschen hatte, ist die
konventionelle wissenschaftliche Anerkennungspraxis allerdings kaum zu ersetzen.
Langfassung
Was motiviert Wissenschaftler zu forschen? Die Lust am Denken und Nachdenken,
an der Entdeckung neuer (geistiger) Welten, an der neuen Lösung alter Probleme
oder erfolgreichen Beantwortung neuer Fragen oder überhaupt am Finden neuer
Fragestellungen? Oder ist es das Pflichtgefühl, zum wissenschaftlichen
Fortschritt beizutragen oder die Hoffnung, durch Forschungsleistungen
unsterblich zu werden? Neben diesen intrinsischen Motiven sind durchaus
extrinsische in Betracht zu ziehen wie der Erwerb von Einnahmen zur Finanzierung
der Forschung und des Lebensunterhalts und die soziale Anerkennung. Durch
beides, finanzielle einschließlich materielle Förderung und Anerkennung lässt
sich Forschung von außen steuern. Oft sind die finanziell-materielle Förderung
und Anerkennung miteinander verbunden.
Der Versuch, auf Wissenschaftler durch mehr oder weniger hoch dotierte Preise
für wissenschaftliche Arbeiten steuernd einzuwirken, hat in den letzten
Jahrzehnten erheblich zugenommen. Deren prozentualer Anstieg ist stärker als die
relative Zunahme an Wissenschaftlern (Zuckerman, 1992, 1996). Gegenwärtig gibt
es unüberschaubar viele Preise und Anerkennungen.
Allein für die USA wurden über 3.000 wissenschaftliche Preise ausgezählt (Zuckerman, 1996). Im deutschen Sprachbereich dürften es rund tausend zusätzlich sein. Dabei stehen deutschsprachigen Wissenschaftlern auch viele der Preise in den USA und anderen Staaten offen.
Keiner dürfte diese Anerkennungen alle kennen, meist nicht einmal die im eigenen Fachgebiet, die im eigenen Land vergeben werden. Erst recht kennt niemand alle Preisträger. Sie sind noch viel zahlreicher. Denn viele der wissenschaftlichen Ehrungen durch Preise erfolgen regelmäßig, oft jährlich, werden teils sogar an mehrere Personen verliehen. Geht man von nur 1.000 Preisen für deutschsprachige Wissenschaftler jährlich aus, ist in den rund 20 Jahren, die ein im Alter durchschnittlicher Wissenschaftler bereits geforscht hat, mit einer Vergabe von wenigstens 20.000 Anerkennungen an die noch lebenden Wissenschaftler des deutschsprachigen Bereichs zu rechnen.
Einige Preise werden sogar jährlich an viel Personen vergeben. So zeichnet seit 1978 die Max-Planck-Gesellschaft jedes Jahr bis zu 40 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für herausragende wissenschaftliche Leistungen mit der "Otto-Hahn-Medaille" aus.
Berücksichtigt man, dass die Anerkennungen zudem häufig an mehrere Personen vergeben werden und dass selbst die Meistzitierten (siehe unten) im Mittel (Median) „nur“ 1,6 Anerkennungen auf sich vereinen, dann gelangt man zu dem Schluss, dass unter den Wissenschaftlern der deutschen Medizin weit über 10.000 durch derartige Preise geehrt sein müssten.
In der nicht nur deutschen, sondern deutschsprachigen Medizin kommen einige tausend Träger derartiger wissenschaftlicher Ehrungen hinzu.
Angesichts dieser zunehmenden und nicht mehr überschaubaren Flut an wissenschaftlichen Preisen und Anerkennungen stellt sich die Frage nach ihrem wissenschaftlichen Wert. Sie unterteilt sich in die beiden Aspekte:
Beruhen die Vergabeentscheidungen auf wissenschaftlichen, das heißt
öffentlich nachvollziehbaren, und validen Kriterien? Die Validität soll am
Beitrag der geehrten Arbeit bzw. des geehrten Forschers zum internationalen
Forschungsfortschritt gemessen werden. Das Ausmaß wird derzeit am objektivsten
und validesten durch Zitationen erfasst (Vinkler, 1998).
Was ist darüber bekannt, wie es zu Entscheidungen für wissenschaftliche Ehrungen
von Arbeiten und Autoren kommt? In Anbetracht der vielen wissenschaftlichen
Ehrungen muss selbstverständlich pauschaliert werden. Ausnahmen von dem
nachfolgend dargestellten Muster dürften allerdings selbst bei Preisen mit
höchstem Image unter den Wissenschaftlern sehr selten sein.
Warum man steuert: Zuerst wird man sich nach dem Zweck der Anerkennung
fragen. Sollen damit ein wissenschaftliches Themengebiet generell oder
anwendungsbezogen gefördert, Wissenschaftler allgemein zum Weiterforschen
motiviert, die preisverleihende Einrichtung gefördert oder eine Leistung oder
ein Handelsprodukt von ihr verkauft werden?
Letzteres ist wirtschaftlich interessant, weil die Konzentration der Forschung von staatlich finanzierten Wissenschaftlern auf ein Firmenprodukt bei einer Preisdotierung von wenigen Tausend Euros weit billiger als die volle Finanzierung der Forschung durch privat voll bezahlte Wissenschaftler ist. Und kostengünstige Öffentlichkeitswirkungen lassen sich mit der Preisverleihung obendrein erzielen.
Doch ungeachtet der Motive einer Einrichtung, wissenschaftlich zu ehren, könnten
Inwieweit dies zutrifft, lässt sich schon einschätzen, wenn man das Wie der
Entscheidungen bei Ehrungen und Preisvergaben berücksichtigt.
Wie man steuert: Hierzu müssen Antworten auf mehrere Fragen gegeben
werden: Welche Ziele werden für eine wissenschaftliche Anerkennung verfolgt? Wer
entscheidet nach welcher Methode, inwieweit wissenschaftliche Arbeiten oder ihre
Produzenten dieses Ziel erreichen? Welcher Kreis an Arbeiten bzw.
Wissenschaftlern kommt für die Kandidatur überhaupt in Betracht?
Was ist das Ziel? Woraufhin soll bewertet werden? Wenn angegeben wird:
„Eine hervorragende Arbeit“, „Ein herausragender Wissenschaftler“. „Ein
vielversprechender Nachwuchsforscher“, dann stellt sich als nächste Frage, wie
diese Exzellenz operationalisiert wird.
Retro- und prospektive Überprüfungen mit Hilfe szientometrischer Verfahren
müssten die Grundlage für die Entscheidungen bilden. Szientometrisch bieten sich
Zitationen an (Cole & Cole, 1973; Garfield & Welljams-Dorof, 1992; Lee et al.,
2003; Lehrl, 1995; Seglen, 1994; Vinkler, 1998; u.v.a.). Hierdurch würde nicht
nur die Exzellenz valide erfasst, sondern gleichzeitig wäre objektivierbar, wie
viel ein Wissenschaftler oder eine Arbeit zum internationalen wissenschaftlichen
Fortschritt beitragen.
Derartige Überlegungen werden die meisten wissenschaftlich Ehrenden aber nicht
anstellen, weil sie sich mit den hier dargestellten Erkenntnissen wegen ihrer
Neuigkeit kaum auseinandergesetzt haben. Bei den vielen Preisen, die mitsamt dem
Reglement ihrer Vergabe vor der Bekanntheit derartiger szientometrischer
Erkenntnisse und Methoden ins Leben gerufen worden waren, war dies
selbstverständlich von vornherein nicht möglich.
Außerhalb der szientometrischen Ansätze werden die Arbeiten bzw. deren Autoren
auf ein nicht operationalisiertes, also wissenschaftlich nebulöses Ziel hin
bewertet. Wie wird dabei üblicherweise vorgegangen?
Meistens treffen Gremien von mehreren Gutachtern die Entscheidung. Die
Begutachtungen werden typischerweise subjektiv vorgenommen. Soweit die Gutachter
überhaupt Wissenschaftler sind, wird man naiverweise erst einmal annehmen, dass
alle eine hohe Sachkompetenz für das zu bewertende Thema haben. Angesichts des
hohen Differenzierungsgrads der wissenschaftlichen Fachgebiete und erst recht
wegen der erwarteten Originalität der zu beurteilenden Arbeiten - andernfalls
tragen sie nicht zum wissenschaftlichen Fortschritt bei - ist jedoch keine allzu
hohe Kompetenz zu erwarten. Obendrein sind die kompetentesten Forscher oft zu
beschäftigt, um derartige Gutachtertätigkeiten wahrzunehmen.
Je enger ein vorgegebenes Thema gewählt ist, desto weniger kompetente Gutachter
und Kandidaten für die Anerkennung gibt es. Umso wahrscheinlicher ist es dann,
dass sich Kandidaten und Gutachter persönlich kennen. Selbst anonymisierte
Schriften sind am Stil und am Literaturverzeichnis den Autoren zuzuordnen.
Entsprechend lassen sich die Färbungen der Entscheidungen durch persönliche
Beziehungen nach Ablehnung oder Begünstigung kaum ausschalten.
Eine Systemschwäche der wissenschaftlichen Qualitätseinschätzung durch Gutachter
liegt auch in folgendem Sachverhalt: Da die Auszeichnungen den besten, meist der
allerbesten der zur Auswahl stehenden Arbeiten oder Autoren gelten, können die
Gutachter kaum besser sein bzw. Besseres hervorgebracht haben. Gutachter von
geringerer Qualität vermögen jedoch eine Arbeit oder einen Autor mit höherer
Qualität kaum richtig einzuschätzen, weil sie voraussetzungsgemäß von ihr
überfordert sind. Es sei denn, sie nehmen indirekte valide Hilfen wie Zitationen
zur Hilfe. Dies ist aber, wie schon erwähnt, bislang unüblich.
Die in vielen Studien (z.B. Daniel, 1993) nachgewiesene geringe Übereinstimmung
zwischen Gutachten der selben wissenschaftlichen Arbeiten bzw. Autoren ist
deshalb keine Überraschung.
Wer kommt überhaupt in die Auswahl? Sind alle, die auf einem Gebiet
forschen, dazu eingeladen oder wählt das Gremium aus einem bestimmten Kreis aus?
Sogar wenn alle einschlägig Forschenden eingeladen sind, kommen nicht alle zur
Bewerbung in Betracht.
So hatten Cole & Cole (1973) eine Erhebung an 1.200 Physikern durchgeführt, in der sie fragten, ob sie die Preise und Ehrungen in ihrem Fach kennten. Sie stellten fest, dass die meisten kaum eine Vorstellung davon hatten, was alles in ihrem wissenschaftlichen Belohnungssystem lief. Sie kannten nur einige wenige Ehrungen wie den Nobelpreis, die Wahl in die National Academy of Science und in die Royal Society of London. Zuckerman (1996) schrieb 25 Jahre später, dass sich bis heute unter Wissenschaftlern kaum eine bessere Orientierung über wissenschaftliche Preise und Ehrungen herausgebildet habe.
Schon weil sie gar nichts über anstehende wissenschaftliche Ehrungen und
Preisverleihungen wissen, bewerben sich viele Forscher nicht dafür. Doch auch
die, die darüber informiert sind, scheuen oft den Bewerbungsaufwand oder die
Rufschädigung bei Erfolglosigkeit. Oder sie haben einfach keine Zeit, weil sie
in anderen Projekten stecken.
Wer schließlich ausgewählt wird, richtet sich normalerweise nicht danach, wer
eine bestimmte Schwelle eines qualitativen Selektionskriteriums überschreitet,
sondern es ist der vermeintlich Beste. „Each year, more scientists are qualified
for Nobels than can win them“ (Zuckerman, 1996). Manchmal werden noch einige
wenige nachfolgende Rangplatzinhaber geehrt.
Welche Wirkung diese Steuerung hat: Wie ist der Einfluss der
wissenschaftlichen Anerkennung auf die zukünftige Durchsetzung der geehrten
Person bzw. deren Arbeit? Für einige Anerkennungen, bei denen ein gehobenes
Qualitätsniveau kaum in Frage gestellt wird, liegen szientometrisch-statistische
Studien vor. Sie weisen Wirkungen nach. Diese sind aber überraschend gering:
Sowohl die Arbeiten als auch Autoren werden trotz Auszeichnung kaum mehr als
zuvor zitiert. So erklärte die Auszeichnung von Publikationen bei Studien von
Lee et al. (2003) nur 1,2 % der Gesamtvarianz aller Zitationen auf diese
Arbeiten. Nicht einmal die in breiten Öffentlichkeitskreisen bekannt gemachten
und zum Nobelpreis führenden Arbeiten vereinigen nach der Bekanntgabe der
Preisträger wesentlich mehr Zitationen als vorher auf sich (Garfield &
Welljams-Dorof, 1992).
In exemplarischen Verlaufsuntersuchungen von Wissenschaftlern, die durch ihre
Öffentlichkeitsarbeit einem Millionenpublikum bekannt wurden, zeigten sich eher
negative Zusammenhänge zwischen der Wirkung in der Öffentlichkeit und der in der
Scientific Community, letztere gemessen durch Zitationsraten (Lehrl & Gräßel,
1993, S. 106ff.). In diesen Fällen kann es daran liegen, dass die
Wissenschaftler infolge ihrer Öffentlichkeitsarbeit weniger Zeit für die
wissenschaftliche Arbeit zur Verfügung hatten, weshalb sie nun weniger oder
qualitativ minderwertiger produzierten. - Über öffentliche wissenschaftliche
Ehrungen sich der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, um über sie
wissenschaftliche Gedanken in der Gemeinschaft der Wissenschaftler
durchzusetzen, scheint demnach kein erfolgversprechender Weg zu sein.
Trotz der erörterten Mängel in der vorherrschenden Praxis wissenschaftlicher
Ehrungen könnte es dennoch sein, dass letztlich - vielleicht aufgrund eines
undefinierbaren Gespürs - die hervorragenden Arbeiten und Wissenschaftler
erkannt und durch die Ehrung zum Weitermachen motiviert und den Mitmenschen als
geeignete Vorbilder zum Nacheifern angeboten werden. So würden die Ehrungen
trotz des nachgewiesenen relativ geringen Einflusses auf den Fortgang der
Wissenschaften, wenigstens in die richtige Richtung lenken.
Letztlich können nur empirische Untersuchungen die Tatsachen herauszufinden
helfen.
Spitzenarbeiten oft nicht erkannt: Von Entscheidungsmethode
„Begutachtung“ lässt sich kaum erhoffen, dass „die“ Spitzenleistungen erkannt
werden. Denn einerseits stimmen wie schon erwähnt Gutachten über qualitativ
durchschnittliche und überdurchschnittliche wissenschaftliche Arbeiten nur nach
Zufallserwartung zufällig (Konkordanzkoeffizient = 0,2) überein (Daniel, 1993).
In einer direkter auf Zitationen als Kriterium für Qualität ausgerichteten
Untersuchung wurden im Rahmen von Preisvergaben die besten Arbeiten tatsächlich
nicht erkannt (Lee et a., 2003).
Diese Studien zeigen, dass die Gutachter zwischen guten und sehr guten Arbeiten,
vielleicht einschließlich mittelmäßigen kaum über Zufallswahrscheinlichkeit
hinaus differenzieren können. Allerdings gewähren Gutachter-gestützte
Entscheidungen, wie sich empirisch mehrfach herausstellte, doch einen Schutz
gegen „schlechte“ Arbeiten (Daniel, 1993; Lee et al., 2003).
Über ein Fünftel der meistzitierten Forscher ohne Ehrung: Zur
Einschätzung der Person als Produzent der wissenschaftlichen Arbeiten stehen
inzwischen umfangreiche Daten über alle medizinischen Fachrichtungen der
deutschen Medizin zur Verfügung. Dabei ist davon auszugehen, dass die selben
Wissenschaftler dazu tendieren, relativ stabil auf einem bestimmten
Qualitätsniveau zu produzieren (Lehrl & Gräßel, 1993; Plomp, 1994; Seglen, 1994;
Lee et al., 2003). Sogar in Zeitschriften mit unterschiedlichem Impact-Faktor
werden die Arbeiten der Forscher mit hohem Niveau mehr zitiert (Seglen, 1994).
Auch bei Arbeiten mit mehreren Autoren schlägt die Zitationsrate des
Wissenschaftlers durch, der allein am meisten zitiert wird (Plomp, 1994).
Die nach Zitationen führenden Autoren müssten demnach fast alle
wissenschaftlichen Ehrungen auf sich vereinigen. Trifft das zu?
Eine Antwort geben bisher noch nicht veröffentlichte Statistiken zum Who´s Who
der deutschen Medizin (sie wurden dankenswerterweise von Herrn Dipl.-Inf. L.
Tsitlaidis durchgeführt und von der GaM Gesellschaft für Metaforschung mbH in
Erlangen zur vorliegenden Veröffentlichung freigegeben).
Von den 1.200 Wissenschaftlern, die wegen ihrer im Vergleich zu Fachkollegen
hohen Zitationsraten in das „Who´s Who der deutschen Medizin“ (Lehrl, 1995)
aufgenommen worden waren, hatten 801 ihre umfangreichen Erhebungsbögen
zurückgesandt. Diese enthielten neben Fragen zur Person, zu ihren Publikationen,
Vorträgen und wissenschaftlichen Ehrungen.
Auf die Frage nach den Ehrungen gaben 177 (22 %) an, keine derartigen
Anerkennungen erfahren zu haben. 25 % (201) waren einmal, 18 % (141) zweimal, 12
% (95) dreimal, 8 % viermal, 4 % fünfmal und der Rest noch öfter, bis 40 mal (N
= 2), ausgezeichnet worden (siehe Abbildung). Der Mittelwert (Median) betrug 1,6
Ehrungen.
Abbildung: Verteilung der Anzahl von Auszeichnungen (X-Achse) von 801
vielzitierten Forschern aus dem „Who´s Who der deutschen Medizin“
22 % der führenden Medizinforscher hatten nach ihren Angaben keine
wissenschaftlichen Ehrungen durch Preise u.ä. erhalten. Insgesamt waren ihnen
2.124 Preise zugekommen. Da aber, wie oben schon grob geschätzt, weit über
zehntausend Preise auf Wissenschaftler der lebenden deutschen
Medizinwissenschaftler vergeben worden sein müssten, können die nach ihrem
Beitrag zur internationalen Forschung Führenden nicht annähernd alle auf sich
vereinigt haben. Und über ein Fünftel von ihnen ging zudem leer aus.
In den Fächern mit hohen Zitierraten wird nicht am meisten geehrt: Dass
kein allzu enger Zusammenhang zwischen dem tatsächlichen Beitrag zum
Forschungsfortschritt und wissenschaftlicher Ehrung in der herkömmlichen
wissenschaftlichen Belohnungspraxis herrschen kann, wird auch durch folgende
weitergehende Analysen der Erhebungsdaten zum „Who´s Who der deutschen Medizin“
untermauert:
Relativ viele wissenschaftliche Auszeichnungen gab es in den Fächern Chirurgie
(Median: 2,3 Ehrungen), Neurochirurgie (2,0), Pathophysiologie (2,0),
Physikalische Medizin (2,0), Psychosomatik (2,0), Medizinische Mikrobiologie
(1,9), Augenheilkunde (1,8), Dermatologie (1,8) und Medizinische Psychologie
(1,8).
Verhältnismäßig wenige Ehrungen erhielten die Wissenschaftler folgender
Disziplinen: Anthropologie/Humangenetik (0,7), Allgemeinmedizin (0,8),
Kinderheilkunde (0,8), Medizinische Dokumentation (0,8), Anatomie (0,9),
Arbeitsmedizin (0,9), Gynäkologie (0,9), Pathologie (Median: 0,9 Ehrungen),
HNO-Heilkunde (0,9). - (Fächer mit unter 10 „Besten“ wurden wegen der Gefahr
starker Zufallsschwankungen weggelassen).
Bei den Vergleichen ist nicht zu erkennen, dass Gebiete mit besonders rascher
Entwicklung wie Humangenetik zur weiteren Anregung der Forschung viele
wissenschaftliche Preise vergeben. Auch - mit der Aktualität einhergehende -
Gebiete, in denen viel zitiert wird, zeichnen nicht mehr aus als andere. So
benötigten die Forscher in der an Ehrungen führenden Chirurgie (2,3 Ehrungen: N
= 115) nur ein Viertel so viele Zitationen wie in der Pathologie (0,9 Ehrungen:
N = 54), um in das „Who´s Who der deutschen Medizin“ zu gelangen.
Beide statistische Analysen der Erhebungsdaten zum „Who´s Who der deutschen
Medizin“ bestätigen demnach zusätzlich zur bereits dargestellten Studie von Lee
et al. (2003), dass zwischen Ehrungen und Zitationsmenge als Maß des Beitrages
zum Forschungsfortschritt (Vinkler, 1998) und der Forschungsqualität (Cole &
Cole, 1973; Zuckerman, 1996) kein allzu enger Zusammenhang besteht.
Zusammenfassung - Reputation der Ehrenden darf nicht über prinzipielle
Schwächen hinwegtäuschen: Wenn man die wissenschaftlichen Anerkennungen
intuitiv ordnet, haben sie unterschiedliche Werte und öffentliche Beachtung.
Genaugenommen weiß man schon gar nicht genau, was alles dazu gehört. So gibt es
manchmal (Erinnerungs-)Medaillen für die aktive Teilnahme (insbesondere durch
einen Vortrag) an einer Tagung, beispielsweise die Galenus-Medaille. Hierzu
lässt sich sagen, dass die Auswahl, einen Vortrag in dem Kreis halten zu dürfen,
bereits eine Auszeichnung ist.
Natürlich sind die Anforderungen an die Kandidaten für hochdotierte
wissenschaftliche Preise wie den Japan-Preis, den Draper-Prize, Leibniz-Preis,
Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft, Philip Morris Forschungspreis,
Arthur Burkhardt-Preis oder den Max-Planck-Forschungspreis für internationale
Kooperation viel höher. Doch das Ansehen der dahinter stehenden Einrichtungen
darf nicht über die bereits angeführten Schwächen hinwegtäuschen. Zum Beispiel
trifft die Auswahlentscheidung über die Preisträger des
Max-Planck-Forschungspreises ein gemeinsamer Ausschuss von
Max-Planck-Gesellschaft und Alexander von Humboldt-Stiftung über Vorschläge, zu
denen berechtigt sind die Präsidenten und Rektoren aller wissenschaftlichen
Hochschulen, die Präsidenten der Akademien der Wissenschaften, der
Max-Planck-Gesellschaft, der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft, Deutscher
Forschungszentren, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Wissenschaftsgemeinschaft
Gottfried Wilhelm Leibniz, die Vorsitzenden der Fachausschüsse der Deutschen
Forschungsgemeinschaft sowie ehemalige Max-Planck Forschungspreisträger. Dies
ist ein Kreis von Personen höchster Ränge in der Forschungsgestaltung. Aber die
Rektoren und Präsidenten der Hochschulen beispielsweise kommen aus
unterschiedlichsten Wissenschaftsgebieten und hier zeigten sie selbst in ihren
besten Forschungsjahren, wie ein Blick in die Zitationsindizes klärt, häufig in
der Scientific Community keinen oder nur einen geringen Forschungserfolg. Wie
sollen sie qualitativ hochwertige Forscher, dazu mit hoher Wahrscheinlichkeit
noch in einem ihnen fremden Gebiet erkennen? Sie können auch nicht die
Vorschläge bewerten, die ihnen einflussreiche Institutsvorstände ihrer
Hochschulen unterbreiten.
Obendrein decken viele dieser Preise nur ein oder wenige Fachgebiete ab und
stehen untereinander in keiner Beziehung. Man weiß also nicht, was der
Japan-Preis im wissenschaftlichen Qualitätsvergleich zum Philip-Morris-Preis
oder Arthur Burkhardt-Preis wert ist.
In der heutigen Wissenschaftslandschaft sind die vielen Preise typischerweise
nur punktuelle Phänomene, deren Wirkung zur Förderung der Wissenschaft
schwerlich pauschal genauer eingeschätzt werden kann außer durch diese
Folgerung, dass der finanzielle Gesamtaufwand in einem ungünstigen Verhältnis
zum Erfolg steht.
Zudem ist die Praxis derartiger Anerkennungen von wissenschaftlichen Leistungen
und Leistungsträgern selbst kein Vorbild für Wissenschaftlichkeit, weil die
Entscheidungen nicht objektiv sind. Sie tendieren obendrein zur Unfairness, weil
sie in der Regel nicht alle gleich Qualifizierten ehren.
Diesem von ehrenden Einrichtungen häufig geäußerten Anspruch, die beste Arbeit
oder den besten oder zumindest exzellenten Wissenschaftler mit einer hohen
Anerkennung zu versehen, werden sie wahrscheinlich häufig nicht gerecht,
wenngleich sie offenbar minderwertige Arbeiten und Forscher ausschließen. Das
Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit, das manchen nicht
berücksichtigten qualitativ hochstehenden Wissenschaftler ärgern und in der
Produktivität behindern könnte, hat vermutlich aber keinen großen Effekt, weil
viele Forscher ohnehin kaum auf Preisvergaben achten (Cole & Cole, 1973).
Zusammenfassend lässt sich über die verbreitete Praxis wissenschaftlicher
Ehrungen festhalten:
Die Wissenschaften gelangen zur Zeit immer mehr in den Zustand, in dem sie
ihre eigenen Grundlagen wissenschaftlich angehen können (Hull, 1998). Dies
trifft auch für das Belohnungssystem in den Wissenschaften einerseits und die
Objektivierung von Forschungsqualität andererseits zu.
Eine Anwendung, die beides berücksichtigt, sind die GaM-Bestenlisten.
Spezifischer haben sie folgende Besonderheiten:
Selbstverständlich wird bei dieser wissenschaftlich fundierten Anerkennung
mancher enttäuscht sein, der es verstanden hatte, sich ein Image als
hervorragender Forscher aufzubauen, obwohl er unmittelbar nichts Bedeutsames zum
internationalen Fortschritt der Wissenschaften beigetragen hatte. Der Entfaltung
einer effizienten und fairen Wissenschaft kommt dies sicherlich entgegen, weil
von diesen hochgradig Reputierten, die keine international bedeutsame Forschung
leisten, weder positive Einflüsse auf ihren Forschungsumkreis (Plomp, 1994) noch
Forschungserfolge in der Zukunft zu erwarten sind (Lehrl & Gräßel, 1993).
Nach Zuckerman (1996) möchten geehrte Wissenschaftler ihre Anerkennungen nicht
missen. Was die in die Bestenlisten aufgenommenen Wissenschaftler gegenüber
anderen einmalig vergebenen Ehrungen besonders freuen dürfte ist, dass sie hier
eine wenigstens ein Jahr lang öffentlich und weltweit zugängliche
Daueranerkennung erfahren.
Soweit es die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses betrifft, der nicht
mindestens fünf bis sieben Jahre Gelegenheit zum Forschen hatte, ist die
konventionelle wissenschaftliche Anerkennungspraxis allerdings kaum zu ersetzen.
Cole JR, Cole S (1973) Social Stratification in Science. The University of
Chicago Press, Chicago.
Daniel H-D (1993) Guardians of Science. Fairness and Reliability of Peer Review.
VCH Verlagsgesellschaft mbH: Weinheim.
Garfield E, Welljams-Dorof A (1992) Of Nobel class: An overview of ISI studies
on highly cited authors and Nobel laureates. Theoretical Medicine 13: 117-135.
Hull DL (1998) Studying the study of science scientifically. Perspectives on
Science 6: 209-231.
Lee JD, Vicente KJ, Cassano A, Shearer A (2003) Can scientific impact be judged
prospectively? A bibliometric test of Simonton´s model of creative productivity.
Scientometrics 56: 223-233.
Lehrl S. Die führenden Medizinforscher. Who´s Who der deutschen Medizin.
Vless-Verlag: Ebersberg; 1995.
Lehrl S, Gräßel E (1993) Forschungsqualität deutscher Mediziner - Normen und
Bewertungen. Media Point Verlag: Nürnberg.
Plomp R (1994) The Highly Cited Papers of Professors as an Indicator of a
Research Group´s Scientific Performance. Scientometrics 29: 377-393.
Seglen PO (1994) Causal Relationship between Article Citedness and Journal
Impact. Journal of the American Society for Information Science 45: 1-11.
Vijh AK (1987) Spectrum of Creative Output of Scientists: Some Psycho-Social
Factors. La Physique en Canada/Physics in Canada 43: 9-13.
Vinkler P (1998) Comparative investigation of frequency and strength of motives
toward referencing: The reference threshold model. Scientometrics 43: 107-127.
Zuckerman H (1992) The proliferation of prizes - Nobel complements and Nobel
surrogates in the reward system of science. Theoretical Medicine 13: 217-231.
Zuckerman H (Nov 11, 1996) Proliferation Of Scientific Prizes Reinforces Nobel's
Distinguished Honor. The Scientist 10[22]: 10.
Victor Apprendi
Stand 16.06.2003